Teufelskreis Perfektionismus
Eine Einladung bei Britta zum Abendessen ist garantiert immer ein Genuss. Kommen Sie ruhig zehn Minuten früher. Das macht nichts. Die Küche strahlt wie im Katalog. Die Kerzen brennen und hüllen das geschmackvoll eingerichtete Wohnzimmer in ein angenehmes Licht, alle Möbel und Accessoires sind stilsicher aufeinander abgestimmt. Und Britta selbst? Ein Augenschmaus! Das Haar gekonnt leger frisiert, die klassisch-sportive Kleidung Ton in Ton, der dezente Schmuck – einfach passend. Und das Essen … garantiert ein Gaumenschmaus vom Feinsten und niemals eine Wiederholung.
Wie macht Britta das? Frauen wie Britta umgibt die Aura der Superfrau – und sie neigen zum Perfektionismus. Sie stellen viel auf die Beine, sie sind bewundert und führen doch ein ungeheuer anstrengendes Leben. Denn perfektionistisch denkende Menschen haben das untrügerische Geschick, in nur einem Leben ständig neue Bereiche zu entdecken, in denen es Vollkommenheit zu erstreben gilt: als Mutter, Ehefrau, im Beruf … Sollte nicht dringend noch etwas für die Fitness getan werden, wie steht es mit dem Gewicht und der gesunden Ernährung? Die moderne Frau hat natürlich politisch auf dem Laufenden zu sein und das Engagement im Literaturcafé oder im Elternbeirat ist selbstverständlich unterster Standard, ein Muss für jede engagierte Frau bzw. Mutter. Ach ja, mit den Englischkenntnissen hapert es aber gewaltig. Schon lange ist eine Auffrischung bei der Volkshochschule in Planung. Und die Augenfältchen, die müssen spätestens ab Vierzig bekämpft werden.
Übrigens: Die Perfektionistin beschränkt ihre Bemühungen natürlich nicht auf die eigene Person, sondern weitet sie angestrengt aus: Gibt’s denn nicht auch bei Mann, Tochter, Sohn, Kollegin vieles zu verbessern? Die Superfrau hat immer etwas zu tun. Wie praktisch. Das erspart so manche Gedanken über Gott und die Welt und vor allem über sich selbst. Sie darf sich in vielen Bereichen der Bewunderung ihrer Mitmenschen sicher sein – auch wenn diese nicht mit Zuneigung verwechselt werden darf. „Wie schaffst du das nur!“, heißen die ersehnten Streicheleinheiten. Auch wenn perfektionistische Frauen oft leicht unterkühlt, unabhängig wirken, sie ersehnen nichts mehr, als geliebt zu werden.
Leider werden perfekte Menschen eher bewundert als geliebt. Und doch sind sie wichtig. Auch in diesem kuriosen Sinne: „Wenn du etwas erledigt haben möchtest, dann wende dich an jemanden, der bereits viel zu tun hat“. Diese Perfektionismus- Falle hat jedoch auch eine positive Seite: Zuverlässigkeit und Treue sind die liebenswerten Schwestern des Perfektionismus.
Perfektionismus und Aktionismus gehen meist Hand in Hand. Perfektionisten führen ein unruhiges Leben. Aber: Wer die Stille meidet, kommt nicht an. „Spaß an der Freude“ ist für Superfrauen ein Fremdwort. Sie leben ein verspanntes Leben, sind eingespannt in den Erwartungsdruck, der vielfach selbst gemacht ist. Leben unter Druck. Es ist die Leistung, die zählt. Unter Leistungsnachweisen können saubere Fensterscheiben, beeindruckende Fitnessleistungen, geratene Kinder, Erfolg im Beruf verbucht werden. Perfekte Frauen haben oft eine starke Ausstrahlung, laufen aber in der Regel ihren eigenen sehr hoch gelegten Idealen hinterher. Sie streben etwas an, weil sie sich als nicht fertig, nicht genügend empfinden. Es ist ein Teufelskreis.